Blockchains – Genossenschaften für das digitale Zeitalter

Unabhängige Unternehmer kooperieren in Genossenschaften – zum Vorteil aller Beteiligten. Diese Form der Zusammenarbeit war bisher meist regional beschränkt. Blockchain, die Technologie hinter Bitcoin, ermöglicht nun die faire, gleichberechtigte Kooperation in dezentral organisierten Netzwerken mit globaler Reichweite.

Alle reden von Blockchain

Bitcoin ist in aller Munde. Überall ist vom rasanten Aufstieg und angeblich baldigen Ende der Kryptowährung zu lesen. Bitcoin ist jedoch nur ein Anfang.

Das eigentlich Revolutionäre ist die Blockchain. Das ist die Technologie hinter Bitcoin, die es überhaupt erst ermöglicht, Geschäftsvorfälle ohne Mittelsmänner und Zwischenhändler sicher digital abzuwickeln. Sie lässt sich von digitalen Zahlungen übertragen auf nahezu alle Wirtschaftsbereiche und ihre Transaktionen. Bitcoin war nur eine erste Anwendung dieser Technologie, deren langfristige Bedeutung fraglich ist. Die Blockchain selbst bietet jedoch ein erhebliches Potenzial für Unternehmen, um die Chancen der Digitalisierung besser nutzen zu können.

Deshalb haben innovative Unternehmen längst damit begonnen, die neue Technologie zu erproben. Dass die Finanzbranche zum Beispiel mit der Commerzbank oder der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte ganz vorne mitmischt, ist angesichts der Herkunft der Blockchain als Technologie für digitale Zahlungen nicht weiter überraschend. Aber auch Airbus oder die Großreederei Maersk setzen beispielsweise Blockchain-Anwendungen ein, um ihre Logistik-Prozesse unbürokratischer und damit billiger und schneller zu gestalten.

Selbst in der Bundesregierung arbeiten mehrere Ministerien an einer umfassenden Blockchain-Strategie, um die regulatorischen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass deutsche Unternehmen möglichst bald und leicht von der Technologie profitieren können.

Blockchains sind ein alter Hut

Organisatorisch ähneln Blockchain-Systeme stark einem altbekannten Konzept. Blockchains sind genau das, was Wikipedia als “Genossenschaft” definiert: „Genossenschaft […] bezeichnet einen Zusammenschluss oder Verband von Personen (natürlichen oder juristischen) zu Zwecken der Erwerbstätigkeit oder der wirtschaftlichen oder sozialen Förderung der Mitglieder durch gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb.“

Erfunden wurden Genossenschaften von Männern wie Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888) und Hermann Schulze-Delitzsch (1808–1883), um unternehmerische und soziale Probleme inmitten der industriellen Revolution zu lösen. Sie sind bis heute relevant, und jeder kennt Beispiele wie die Genossenschaftsbanken oder regionalen Einkaufs- bzw. Erzeugergenossenschaften.

Die Blockchain-Technologie überträgt nun das Konzept aus dem 19. Jahrhundert ins 21. Jahrhundert, um wirtschaftliche und soziale Probleme zu lösen, die mit der digitalen Revolution verbunden sind.

Blockchains beheben viele Probleme heutiger Systeme

Üblicherweise organisieren wir Unternehmen, Branchen und Systeme mit Hierarchien, Gremien und starken Mittelsmännern. Jeder kennt die damit verbundenen Probleme. Bürokratie und Hierarchien lähmen Effizienz und Innovationskraft in großen Unternehmen und beim Staat gleichermaßen. Viele globale Märkte werden von dominanten Mittelsmännern wie Amazon, Facebook und Google kontrolliert, die ihre zentrale Position zum Schaden kleinerer Marktteilnehmer ausnutzen.

Die Blockchain löst einige Probleme heutiger Strukturen, indem sie Hierarchien und Mittelsmänner abschafft. Alle Markt- bzw. Systemteilnehmer arbeiten in einem gemeinsam betriebenen Netzwerk gleichberechtigt zusammen. Mit einer Reihe von Algorithmen, dem sogenannten “Protokoll”, legen die Teilnehmer in einem Blockchain-Netzwerk fest, wie Prozesse im System korrekt ablaufen. In einer verteilten Datenbank, der “Blockchain”, werden alle Geschäftsvorfälle unveränderlich dokumentiert. Blockchain-Netze sind quasi Genossenschaften mit digitalem Betriebssystem.

Daraus ergeben sich einige Vorteile von Blockchain-Systemen:

  • Transparenz: Im Grundsatz haben alle Netzwerkteilnehmer den gleichen Zugang zu Daten. Es gibt keine herausgehobene Autorität, die über mehr Informationen verfügt als die anderen Akteure und die diese Stellung zu ihrem Vorteil ausnutzen kann.
  • Konsistenz: Da alle eine gemeinsame Datenbasis nutzen, teilen sich alle Teilnehmer eine gemeinsame “Wahrheit”, alle haben eine gemeinsame Sicht auf die Realität.
  • Effizienz: Prozesse in Blockchain-Systemen werden von sogenannten “Smart Contracts” gesteuert. Sie sorgen für eine hohe Prozessgeschwindigkeit und vermindern das Risiko menschlicher Fehler bei der Abwicklung.
  • Revisionssicherheit: Der Blockchain-Algorithmus stellt automatisch sicher, dass alle Transaktionen unveränderlich gespeichert werden.
  • Ausfallsicherheit: Da Blockchain-Systeme mehreren Teilnehmern betrieben werden, besteht kein “Single Point of Failure”, dessen Ausfall das gesamte System lahmlegt.

Blockchains bringen das Prinzip der Genossenschaft mit zusätzlichen Vorteilen ins 21. Jahrhundert.

Blockchain im konkreten Einsatz

Neben Anwendungen in der Finanzwelt zielen Blockchain-Projekte bisher vor allem darauf, Logistikketten effizienter und sicherer zu gestalten. Dabei nutzen die Akteure in einem Supply-Chain-Netzwerk ein gemeinsames Blockchain-System, in dem Geschäftsvorfälle per Smart Contracts automatisiert ablaufen und dokumentiert werden.

Weltweit gibt es 17 Millionen Container. Davon sind zu jedem Zeitpunkt ungefähr 5 bis 6 Millionen in Bewegung. Die Bürokratie, die nötig ist, um dabei den Überblick zu behalten, verursacht schätzungsweise 20 Prozent der Versandkosten. Da ist es nicht verwunderlich, dass die Reederei Maersk mit einem Blockchain-Projekt alle Stakeholder in einem System vernetzt. Man kann sich leicht vorstellen, wie viel Papierkram vermieden wird, wie sehr Prozesse beschleunigt werden und um wie viel transparenter Logistikketten werden, wenn Versender, Empfänger, Zwischenhändler und Behörden ein gemeinsames System nutzen.

Im Kampf gegen gefälschte Medikamente arbeitet der Logistikkonzern DHL daran, den Weg einer Arzneimittelpackung vom Hersteller über die Großhändler bis zur einzelnen Apotheke lückenlos nachverfolgen zu können. Dafür werden die Arzneimitteleinheiten mit Barcodes identifizierbar gemacht. Dann werden sämtliche Verpackungs-, Versand- und Übergabetransaktionen unmanipulierbar und revisionssicher ohne großen bürokratischen Aufwand in einer Blockchain gespeichert. Auf diese Weise können alle Beteiligten bis hin zum Endverbraucher nachvollziehen, welchen Weg ein Medikament genommen hat.

Denselben Ansatz verfolgen zahlreiche Projekte in der Lebensmittelbranche. Woher kommt mein Steak wirklich? Ist mein Apfel wirklich Bio? Diese Fragen lassen sich sicher und relativ einfach beantworten, wenn der komplette Lebenszyklus eines Produkts in der Blockchain dokumentiert wird.

Blockchains erleichtern die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit

Wenn heute Unternehmen in übergreifenden IT-Prozessen zusammenarbeiten, so benötigt man dafür in der Regel zentrale Server, die von einem der Systemteilnehmer betrieben werden und ihn deshalb in eine herausgehobene Rolle versetzen. Gerade unter Wettbewerbern oder bei Unternehmen in einer Kunden-Lieferanten-Beziehung ist deshalb bisher die IT-Zusammenarbeit schwer bis unmöglich.

Da eine Blockchain von allen Beteiligten gleichberechtigt betrieben wird, bietet die Technologie eine neue Chance, um die Zusammenarbeit von mehreren Unternehmen durch gemeinsame IT-Systeme effizienter zu gestalten.

Im 19. und 20. Jahrhundert ermöglichten Genossenschaften, dass unabhängige Unternehmer einer Region gleichberechtigt zusammenarbeiten konnten. Mit der Blockchain-Technologie können wir diese erfolgreiche Idee nun auf weltweite Netze ausdehnen und faire, globale Kooperationen realisieren.



Autor: Collin Müller
Seit über 20 Jahren Onliner, seit über 10 Jahren in der Kommunikations- und Medienbranche.