Warum Patientendaten in die Blockchain gehören
- 24. Mai 2018
- Veröffentlicht durch: Martin Breitsprecher
- Kategorie: Politik
Steht die elektronische Gesundheitskarte vor dem Aus?
Zwölf Jahre nach der offiziellen Einführung sehen Kassen und Ärzteverbände das Projekt der elektronischen Gesundheitskarte als gescheitert an. Über 1,7 Milliarden Euro wurden bisher investiert, aber von den versprochenen Funktionen der Karte ist bislang kaum etwas zu sehen.
Der Chef des AOK-Bundesverbands, Martin Litsch, nimmt im Interview mit der Rheinischen Post am 29.03.2018 kein Blatt vor den Mund: „Die elektronische Gesundheitskarte ist gescheitert. Seit beinahe 20 Jahren wird in dieses System investiert und bislang gibt es keinen Nutzen. Bis Ende 2018 werden wir zwei Milliarden Euro dafür aufgewendet haben. Das ist eine Technologie aus den 90er Jahren, die zu Monopolpreisen aufrecht erhalten wird. Das ganze Vorhaben ist längst überholt. Wenn wir wirklich auf die Digitalisierung des Gesundheitswesens setzen, brauchen wir einen Neustart.“
Inzwischen wird das Projekt auch auf politisch höchster Ebene kontrovers diskutiert. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stellt in einem Interview mit der FAZ am 06.05.2018 die elektronische Gesundheitskarte in ihrer derzeitigen Form grundsätzlich in Frage. Dass die Entwicklung bislang nicht über Modellprojekte hinausgekommen sei, bezeichnete Spahn als „völlig inakzeptabel“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte daraufhin, sie sei offen für neue Lösungen und Spahn habe diesbezüglich „freie Hand“.
Diese Äußerungen führten zu Verunsicherung bei den Beteiligten, so dass Spahn wenige Tage später wieder etwas zurückgerudert ist: Es bleibe „sowohl bei der flächendeckenden Installation der Verbindungsgeräte als auch bei der Nutzung der Chipkarte“, stellt das Gesundheitsministerium in einem Schreiben an die Spitzenverbände der Krankenkassen und Ärzte klar. Alles andere würde auch bedeuten, dass die Milliarden umsonst investiert wurden, und das ließe sich in der Öffentlichkeit wohl kaum vermitteln.
Klar ist: Die Digitalisierung des Gesundheitswesens hat für Spahn höchste Priorität und soll in den nächsten dreieinhalb Jahren massiv vorangetrieben werden.
Geduld verloren: TK und IBM bringen eigene Patientenakte auf den Markt
Die Techniker Krankenkasse (TK) – mit mehr als zehn Millionen Versicherten die bundesweit größte gesetzliche Krankenkasse – hatte keine Lust, noch länger zu warten, und ist mit einer eigenen elektronischen Gesundheitsakte vorgeprescht. Der TK-Vorsitzende Jens Baas hatte die Idee der elektronischen Gesundheitskarte bereits im Oktober 2016 als „tot“ bezeichnet und will mit seiner eigenen Lösung „TK-Safe“ nun zeigen, was möglich ist. Seit dem 24.04.2018 können sich TK-Versicherte für einen erweiterten Beta-Test anmelden.
Den Versicherten soll es mit TK-Safe möglich sein, ihre Gesundheits- und Krankheitsdaten mit ihrem Smartphone zu speichern und selbst zu managen. Alle relevanten Daten, die der TK vorliegen, werden nach Anmeldung automatisch in die Akte übertragen, insbesondere Impfungen, verschreibungspflichtige Medikamente sowie alle Arztbesuche einschließlich der Diagnosen. Darüber hinaus sollen weitere Daten, etwa Röntgenbilder, in die Gesundheitsakte hochgeladen werden können. Langfristig sei auch eine Integration mit anderen Apps und Fitnesstrackern geplant.
Entwickelt wurde TK-Safe von IBM Deutschland, die auch für die Speicherung der Daten auf ihren Servern in Frankfurt zuständig ist. Die TK erklärt, es sei ausschließlich Sache der Versicherten, was in der Akte abgelegt werde und wer Zugriff auf die Informationen erhalte. Niemand anderes habe Zugang zu den Daten, da diese durch eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gesichert seien.
Zentrale Datenhaltung ist zum Scheitern verurteilt
Das Problem ist: Sowohl die bisher diskutierten Ansätze für die elektronische Gesundheitskarte als auch die neu geschaffene Lösung der TK können keine langfristige Basis für die erfolgreiche Digitalisierung des Gesundheitswesens sein. Nach zahlreichen bekannt gewordenen Cyber-Angriffen der letzten Jahre ist inzwischen klar: Daten sollten dezentral gespeichert werden. Hierfür gibt es folgende Gründe:
- Zentrale Datenspeicher sind Angriffspunkte für Hacker. Dabei geht es nicht nur um Datenschutz (der durch wirksame Ende-zu-Ende-Verschlüsselung prinzipiell auch bei zentralisierten Strukturen gewährleistet werden kann): Neben der Vertraulichkeit sind die Verfügbarkeit und die Integrität der Daten von essentieller Bedeutung. Wenn eine Patientenakte durch Cyber-Angriffe gelöscht, manipuliert oder der Zugang zu ihr blockiert wird, kann dies weitreichende Folgen haben.
- Zentrale Akteure hemmen Innovation und behindern Marktzugänge. Derjenige, der die Datenbank kontrolliert, kann bestimmen, wer auf der Plattform in welcher Weise teilnehmen darf. Neue Anbieter haben es schwer, neue Ideen umzusetzen – zum Beispiel, eine eigene App zu entwickeln, die auf die Datenbank zugreifen kann. Ohne Mitwirkung des zentralen Anbieters geht nichts. Abgesehen davon: Viele Unternehmen werden an einer Datenbank, die von einem Wettbewerber kontrolliert wird, ohnehin nicht teilnehmen wollen.
- Zentrale Akteure gewinnen an Macht und werden zu Monopolisten. Mit wachsender Bedeutung einer Datenbank werden die Akteure, die die Datenbank kontrollieren, immer mächtiger. Irgendwann werden sie versuchen, den von ihnen abhängigen anderen Marktteilnehmern die Bedingungen zu diktieren. Zentrale Plattformen haben zudem einen starken Anreiz, ihre Nutzer ‘einzusperren’: Wenn etwa Daten von einem Dienst zu einem anderen übertragen werden sollen, ist dies häufig mit großem Aufwand verbunden.
Die Blockchain bietet die lang gesuchte Lösung für die Gesundheitsakte
Werden die Patientendaten hingegen mit Hilfe einer Blockchain gespeichert und verwaltet, können die oben genannten Probleme einer zentralen Datenhaltung gelöst werden:
- Die Blockchain schützt die Patientendaten. Die Blockchain stellt sicher, dass alle Transaktionen korrekt durchgeführt werden. Die Daten können nicht manipuliert werden. Darüber hinaus ist es durch die dezentrale Struktur sehr schwer, den Zugriff auf ein Blockchain-Netzwerk zu blockieren.
- Die Blockchain sorgt für ein innovationsförderndes Umfeld. Die Blockchain macht offene Systeme in fast allen Bereichen möglich. Anwendungen werden von Daten getrennt. Jeder, der möchte, kann eigene Apps entwickeln und mit den Daten arbeiten.
- Die Blockchain sorgt für faire und transparente Bedingungen. In einer Blockchain profitieren alle Teilnehmer vom Wachstum der Plattform. Alle spielen nach den gleichen Spielregeln, die öffentlich zugänglich sind, und die Zustimmung der Mehrheit der Teilnehmer ist erforderlich, um sie zu ändern.
Die Blockchain kann die elektronische Gesundheitskarte retten
Die elektronische Gesundheitskarte und die zugehörige Architektur der Telematikinfrastruktur ist von vielen Marktteilnehmern immer wieder abgelehnt worden, weil der Schutz der Patientendaten und die Privatsphäre der Nutzer nicht gewährleistet sei. Die konkrete technische Implementierung ist noch immer recht vage, basiert aber auf zentralen Strukturen.
Der alternative Ansatz der TK – die Implementierung einer zentralen Lösung auf IBM-Servern – ist ebenfalls kritikwürdig, denn sie ist innovationshemmend, intransparent und gegen Angriffe von Außen nur bedingt gewappnet.
Die Blockchain-Technologie ist die Basis, auf der elektronische Patientenakten aufgebaut werden können, die sowohl sicher und vertraulich sind, als auch die Patienten in die Lage versetzen, ihre Daten zu kontrollieren. Nur eine Lösung, die niemandem gehört und von niemandem allein kontrolliert werden kann, wird von den im Wettbewerb stehenden Marktteilnehmern akzeptiert und genutzt. Als offene Plattform für innovative Anwendungen ist die Blockchain der ideale Nährboden.
Die Bundesregierung sollte die Chance nutzen und die geplante Telematikinfrastruktur auf Basis der Blockchain neu denken. Dies könnte nicht nur die Rettung des Milliardenprojekts „elektronische Gesundheitskarte“ sein, sondern zu einem insgesamt transparenteren, effizienteren und patientenorientierteren Gesundheitssystem führen.