LikeChain: Qualitätsmanagement und Empfehlung von Inhalten mit der Blockchain – erste Ideen

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Mit der Blockchain könnte man ein offenes, dezentral organisiertes System schaffen, mit dem die Qualität von Inhalten im Netz beurteilt werden kann. Darauf kann man transparente Filter- und Empfehlungsalgorithmen aufbauen, die viele Probleme der heutigen Inhalteverbreitung im Internet und in sozialen Medien vermeiden. Das System würde es erleichtern, gute Inhalte zu entdecken und die Verbreitung von Falschmeldungen erschweren. Gleichzeitig könnten individuelle Vorlieben und Interessen der Nutzer voll berücksichtigt werden.

Zu viel Content für eine effektive Filterung

Im Web gibt es eine nicht unerhebliche Menge von Inhalten, die schlecht recherchiert, tendenziös dargestellt oder schlicht erfunden sind. In sozialen Medien werden sie weiterverbreitet und erhalten teils erstaunliche Reichweite. Dadurch beeinflussen sie die öffentliche Meinung, obwohl sie wegen ihrer schlechten Qualität eigentlich nicht einer größeren Menge von Menschen hätten präsentiert werden sollen.

Früher waren die Redaktionen der großen Zeitungen und Nachrichtenmagazine in den meisten Fällen ein Qualitätsfilter für Inhalte. Sie entschieden, welcher Content relevant und gut genug für die Veröffentlichung war.

Zentral organisierte Teams könnten heute alleine diese Funktion nicht mehr übernehmen. Aus Kapazitätsgründen könnten sie sich wie früher nur um die Inhalte kümmern, die für breite Leserschichten interessant sind. Sie würden also nicht nur schlechten Content herausfiltern, sondern auch fast alles, was einfach nicht in den Mainstream passt.

Es gibt jedoch sehr viel interessanten und relevanten Content an den Rändern des Netzes sowie Inhalte von guten Autoren, die noch nicht auf dem Radar der Redaktionen aufgetaucht sind. Wir brauchen also ein Qualitätsmanagementsystem, das auch den Nischen-Content und spezialisierte, neue und quer denkende Autoren einbezieht.

Indikatoren für die Qualität und Relevanz von Inhalten

Als Indikatoren für die Qualität und Relevanz eines Inhalts eignen sich vor allem vier Faktoren: Content, Creator, Curator, Context (4C):

  • Content betrifft den Inhalt an sich. Stimmen die Fakten? Sind Umfang und Tiefe der Darstellung angemessen? Werden alle relevanten Aspekte berücksichtigt? Sind Meinung und Fakten klar getrennt? Zusammenfassend, genügt ein Inhalt den journalistischen und wissenschaftlichen Qualitätsstandards?
  • Creator steht für den Ersteller eines Inhalts. Wie ist die Qualität der bisher von ihm erstellten Inhalte? Wie viele Inhalte von guter Qualität hat er bisher erstellt? Wie groß ist die Verbreitung der von ihm erstellten Inhalte? Ist der Autor kompetent in dem von ihm behandelten Bereich, also wie viele Inhalte von hoher Qualität hat er bereits zu einem spezifischen Fachgebiet veröffentlicht?
  • Curator ist die Quelle, über die ein Inhalt den Leser erreicht. Wie ist der Ruf desjenigen, der den Inhalt empfohlen hat? Wie viele gute und relevante Inhalte hat eine Quelle in der Vergangenheit empfohlen und weiterverbreitet? Ist die Quelle im sozialen Netz des Lesers hoch angesehen?
  • Context steht schließlich für das Umfeld, in dem ein Inhalt steht. Welche anderen Inhalte erscheinen in direkter Nachbarschaft? Wie viele andere Inhalte mit welchem Ruf verweisen auf einen Inhalt? Wie viele Quellen mit welchem Ruf empfehlen und verbreiten einen Inhalt? 1

Ein Qualitätsmanagement- und Empfehlungssystem für Inhalte muss also die vier oben genannten Kriterien (4C) bewerten können, um nützlich zu sein.

Inhalte und Publikationen als Transaktionen in der Blockchain

Alle wesentlichen Vorgänge in der Medienlandschaft lassen sich als „Transaktionen“ zwischen Akteuren und Inhalten definieren. Transaktionen wären beispielsweise

  • Ein Autor veröffentlicht einen Inhalt.
  • Ein Leser bewertet (z. B. „liked“)  einen Inhalt.
  • Ein Kurator empfiehlt („shared“) einen Inhalt.
  • Ein Leser abonniert einen Kurator bzw. den Strom der Inhalte, die dieser Kurator empfiehlt („follow“).

Blockchain-basierte Systeme eignen sich besonders um solche Transaktionen dezentral, sicher und transparent zu speichern. Man kann also alle Vorgänge in einem Nachrichtensystem gut in einer Blockchain bzw. einem ähnlichen Distributed-Ledger-System abbilden.

Zunächst erhalten alle Elemente im Nachrichtensystem eine eindeutige ID: Für Inhalte lassen sich eindeutige Hash-Werte errechnen. Autoren, Kuratoren und Leser lassen sich durch ihre öffentlichen Signaturen in einem Public/Private-Key-Verfahren identifizieren.

Bei allen vier obigen Beispielen für Transaktionen sind die Elemente der Transaktion eindeutig festgelegt: Autoren, Leser und Kuratoren lassen sich durch ihre öffentlichen Schlüssel identifizieren. Und Inhalte sind über ihre Hash-Werte klar definiert.

Alle Transaktionen ergeben ein Netzwerk aus Akteuren und Aktionen (siehe Beispiel und Abbildung).2

Zum Beispiel:

  • User Goethe veröffentlicht den Inhalt Faust
  • User Shakespeare veröffentlicht Hamlet
  • Userin Jenny shared den Inhalt Faust
  • User Tim liked den Inhalt Faust
  • User Tom liked den Inhalt Hamlet
  • Userin Hannah liked den Inhalt Faust

In diesem System ist es nicht nötig, Leser von Kuratoren oder Kuratoren von Autoren zu unterscheiden. Jeder Akteur kann alles gleichzeitig sein. Akteure müssen nur über ihren öffentlichen Schlüssel bekannt sein und müssen nicht festlegen, ob dieser Schlüssel für eine bestimmte Rolle im System steht, also Autor, Leser, Kurator, etc.

Reputation für Autoren, Inhalte und Kuratoren mit der Blockchain

Für jeden Inhalt bzw. jeden Akteur lässt sich nun leicht ein Qualitätswert bzw. ein Reputationswert ermitteln. Dazu muss man nur die Transaktionen bewerteten, die das zu bewertende Element betreffen.

Im obigen Beispiel könnte man für Faust einen Qualitätswert 4 errechnen, indem man jedes „Like“ mit einem Punkt und jedes „Share“ mit zwei Punkten bewertet. Hamlet kommt hingegen nur auf einen Qualitätspunkt, da der Inhalt nur einmal „geliked“ wird.  Wenn es bei diesem einfachen Mechanismus bliebe, sollte man also eher Faust als Hamlet lesen.

Jetzt könnte es aber sein, dass der Leser Tom in seiner Vergangenheit so herausragende Empfehlungen gegeben hat, dass sein „Like“ zehnmal mehr zählt, als die „Likes“ und „Shares“ der anderen Akteure. Dann käme Hamlet wegen des zehnfach zählenden „Likes“ auf zehn Punkte und zöge an Faust vorbei.

Individuelle und trotzdem transparente Filter sind möglich

Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, die Transaktionen im Netzwerk zu bewerten und dadurch zu filtern. Theoretisch kann jeder Nutzer seinen eigenen Filter konfigurieren und diejenigen Aspekte höher bewerten, die ihm wichtiger erscheinen.

Bei Facebook ist das heute zum Beispiel nicht möglich, denn Facebook beherrscht die Daten und den Filteralgorithmus. Nur Facebook weiß, wie der Filter Inhalte bewertet. Es ist für Außenstehende völlig intransparent, wie der Algorithmus entscheidet, wem er welche Inhalte anzeigt.

Im Gegensatz zu Facebook ist im hier vorgeschlagenen System die vollständige Blockchain öffentlich verfügbar. Jeder kann mit sämtlichen Daten und Inhalten arbeiten. Anbieter können dabei wetteifern, den besten Filter-Algorithmus anzubieten. Und da die Daten völlig getrennt vom jeweiligen Filter vorliegen, ist es für jeden Nutzer leicht, von einem Algorithmus zu einem besser passenden zu wechseln.

So wäre es möglich, dass ein User die Aktionen von Frauen doppelt so stark werten möchte wie die von Männern. Ein anderer könnte seinen Filteralgorithmus anweisen, nur diejenigen Akteure für die Bewertung heranzuziehen, die einen bestimmten Mindestreputationswert erreichen. So würden beide User eine unterschiedliche Inhaltequalität ermitteln, obwohl sie auf denselben Basisdaten arbeiten (siehe Abbildung).

Integrität und ursprüngliche Herkunft eines Inhalts lassen sich leicht feststellen

Mit diesem System kann man auch jederzeit feststellen, wer wann zuerst einen Inhalt veröffentlicht und wer ihn verbreitet hat. Das hat zwei Vorteile.

Erstens wird es dadurch leichter als bisher, den wahren Urheber eines Inhalts festzustellen und dessen Rechte besser durchzusetzen, zum Beispiel in Form von Lizenzzahlungen oder Namensnennung.

Zweitens lässt sich damit auch leichter identifizieren, wer Falschmeldungen oder strafbare Inhalte in die Welt setzt oder verbreitet. So können Quellen, die häufig problematische Inhalte veröffentlichen, herausgefiltert werden. Und in schwereren Fällen lassen sie sich auch strafrechtlich verfolgen.

Zusätzlich lässt sich auch schnell und sicher feststellen, ob Inhalte seit ihrer Veröffentlichung verändert wurden, da für jeden Inhalt eindeutige Hashes generiert und gespeichert werden.

Durch die eindeutige Identifikation eines Inhalts durch Hashes sorgt ein Blockchain-basiertes System dafür, dass Urheber besser ihre Rechte durchsetzen können, faule Stellen im Netzwerk besser identifiziert und ausgeschaltet werden können und außerdem die Integrität von Inhalten vor unerlaubter Veränderung geschützt wird.

Offene Fragen

Offenbar könnte ein offenes, dezentral organisiertes System, das auf einer Blockchain-verwandten Technologie basiert, gut zur Veröffentlichung und Verbreitung von Inhalten im Netz geeignet sein und viele der Probleme in bestehenden Social-Media-Netzen vermeiden.

Technisch wäre es kein großes Problem, User mit den benötigten Public/Private-Key-Schlüsselpaaren auszustatten. Hier kommt es auf eine benutzerfreundliche Implementierung in Client-Software zum Lesen, Veröffentlichen und Kuratieren von Inhalten an.

Allerdings sind viele architektonische Fragen zu klären. Zum Beispiel ist offen, welche Form von Blockchain bzw. Distributed Ledger sich für einen weltweiten Einsatz mit der nötigen Performance eignet.

Und es muss definiert werden, ob wirklich die kompletten Inhalte in der Blockchain gespeichert werden sollen. Das System würde dadurch einerseits sehr Zensur-resistent; andererseits arbeiten bisherige Implementierungen von Distributed Ledgers eher mit kleinen Datenmengen pro Transaktion. Megabyte oder Gigabyte-Datenmengen, wie sie für Bild- und Videomaterial benötigt werden, sind bisher nicht üblich.

Sicher ließe sich das vorgeschlagene System aber auch implementieren, wenn nur die Metadaten (User-Key, Inhalte-Hash, etc.) mit einem Verweis auf die eigentlichen Inhalte gespeichert würden.

Außerdem wird es wichtig sein, einen Mechanismus zu definieren, mit dem Inhalte nach der Veröffentlichung verändert werden können, ohne dass dadurch die Verknüpfung zur Erstveröffentlichung und zum Erstautor verloren geht. Das ist wichtig, um beispielsweise Fehler korrigieren zu können bzw. neue Informationen ergänzen zu können. Hierfür könnte eventuell eine Klasse von Änderungstransaktionen eingeführt werden. Damit könnte eine lückenlose Änderungshistorie in der Blockchain gespeichert werden.

Mögliche Implementierung

Das System ließe sich wohl am ehesten in einem breit angelegten Open-Source-Projekt implementieren, das von wichtigen Stakeholdern aus der Online- und Medienindustrie gefördert wird. Hilfreich wäre außerdem eine Unterstützung durch öffentliche Stellen in Form von Standardisierungsmaßnahmen bzw. der Förderung durch gesetzliche Regelungen und öffentliche Aufträge.

  1. „Curator“ und „Context“ lassen sich nicht leicht voneinander abgrenzen. Möglicherweise müssen beide für konkrete Implementierungen der hier vorgestellten Idee zu einem Faktor zusammengefasst werden.
  2. Informatiker nennen ein solches Netzwerk einen „gerichteten Graphen“: Inhalte und Akteure sind die Knoten im Graphen, die Transaktionen sind die Kanten des Graphen. Siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/GerichteterGraph


Autor: Collin Müller
Seit über 20 Jahren Onliner, seit über 10 Jahren in der Kommunikations- und Medienbranche.